22. Juni 2021

Hör auf zu weinen, Baby !

Christiane Ortner

Mag. Christiane Ortner
aus Bad Gleichenberg, 2-Fache Mama, Powerfrau, belesen und selbstständige Immobilienmaklerin.

Vielleicht sind es noch 14 Tage… aber er wird keine Schmerzen haben.
„Just stop your crying, it´s a sign of the time“. Das Radio spielt Harry Styles.
… und der Radio lief weiter – … und die Welt drehte sich weiter… einfach so…. OHNE IHN.

Und plötzlich spielte ich diese Hauptrolle von all diesen Filmen, Büchern und Zeitungsberichten über tragische Schicksalsschläge….
Mein Mann ist ein Jahr nach seiner Diagnose gestorben. Er war ein sehr geduldiger Kämpfer, hat kaum darüber geredet, jede Therapie ertragen und ich habe das alles, jeden Arztbesuch, jeden Tag im Krankenhaus mit meinen beiden Kindern mitgetragen.
Viele Fragen blieben offen, viel Wut steckte in mir, wieso er mir das antun konnte, sich einfach aus dem Staub zu machen und mich alleine zu lassen…. mit all den Sorgen, dem finanziellen Wirwarr, der Firma… Er kümmerte sich um nichts mehr,… „Geht nicht, gibts nicht“, war seine fantastische Devise…
Geht nichts, gibt´s doch- war dann das ernüchternde Ergebnis.
Sein letzter Wunsch war, dass ich seinen Namen trage. Ich glaube, dieser Heiratsantrag war bisher der schlimmste Tag in meinem Leben.
Und die Worte des Pfarrers… „bis, dass der Tod euch scheidet“, hatten plötzlich eine Woche vor seinem Tod eine tragisch andere Bedeutung erlangt.

Ich fragte mich früher oft, wie geht das ? Wie dreht sich die Welt danach weiter, wenn der Partner stirbt ?
Naja, wenn ich ehrlich bin, habe ich darauf keine Antwort. Auch heute nicht.
Auch mir fehlen oft die Worte, wenn ich anderen Menschen kondolieren muss. Auch wenn ich am eigenen Leib erfahren habe, dass Wortlosigkeit die schlimmste Art des Beileidwünschens ist.

Ich weiss es nicht mehr, wie ich weiter gemacht habe…einerseits funktionierte ich, weil ich es musste, andererseits lebte ich meine Trauer und Wut aus. Einfach so, viele Nächte erschöpft vom Weinen eingeschlafen, viele Tage wieder aufgestanden,…. irgendwann wird es leichter.
„Just stop your crying, it´s a sign of the time“.
Mir wurde erst dann bewusst, wieviel erschreckende Wahrheit in diesem Plattituden-Spruch: „Die Zeit heilt die Wunden“ steckt… Das tut sie wahrhaftig. Und die Zeit gibt dir die Chance, die Wunden zu versorgen. Es braucht viel Kraft und auch Mut, diese Wunden zu lecken, und vor allem braucht es Dankbarkeit, damit sie heilen können. Es gibt Tage, an denen die Narben spürbar sind und es gibt Tage, an denen man wieder Leichtigkeit erreicht.

Das erste Jahr, das Trauerjahr, war irgendwie magisch. Jeder Tag in diesem ersten Jahr ohne ihn, war etwas besonderes, eben weil jeder Tag zum ersten Mal ohne ihn verlaufen ist. Jeder Feiertag, jeder Jahrestag, jeder Geburtstag.
Meine Reaktionen auf die Umwelt bedurften keiner Erklärung, meine Traurigkeit und auch meine Freude wurde nicht hinterfragt. Meine Zerbrechlichkeit konnte ich schützen.
Ich fühlte mich unantastbar, geschützt in der Gesellschaft in der Woge des „Trauerjahres“ gefangen.

Die Tabuisierung des Todes und die Wortlosigkeit der Gesellschaft mir gegenüber, stellten mich in einen Ausnahmezustand, den ich manchmal verdammte, aber auch manchmal genoss.
Eine Woge der Sicherheit umgab mich.
MEINE Zeit, MEINE Geschwindigkeit, MEINE Wege und MEINE Ruhe.
Ich brauchte nicht reden, wenn ich nicht wollte… ich brauchte nicht fröhlich sein, wenn mir nicht danach war… keiner fragte und noch besser, keiner missbilligte.
Es gab Tage, an denen ich die Welt umarmen konnte, weil ich trotz alledem ein Glückspilz war. Ich erfuhr die Liebe, die manche nie erfahren. Wir erlebten unglaubliche Zeiten. Wir lachten, wir liebten, und ja wir stritten auch.. und das nicht zu wenig.
Wir waren beide leidenschaftlich und liessen einfach nichts aus. Als ob wir wussten, dass unsere Zeit begrenzt sei.
Es gab eben gute Tage und es gab schlechte Tage.

Einem Menschen beim Sterben zu begleiten, ist so grausam, wie es auch schön ist. Soetwas auszusprechen, verstehen nicht viele. Doch es geht um das Wesentliche. „Es geht ums Eingemachte, da gibt es kein Drummherumreden mehr“, sagte mir damals meine liebe Hospitzbegleiterin.
Ja, kein Platz mehr für coole Sprüche oder gemeine Blödheiten, die man sich an den Kopf wirft oder lächerliche Geschichten über andere… Vieles wird verziehen und vieles verliert einfach an Wichtigkeit.
Es geht einfach nur mehr um die Liebe, die ein Mensch im Leben des anderen eingenommen hat, und um dessen Wertschätzung. Und um die Dankbarkeit, dass man ein Stückchen des Weges gemeinsam gehen konnte.

Manchmnal schoss mir die Frage ein: „Kann ich jemals wieder lieben. Nein, die Frage lautete: DARF ich wieder lieben ? Oder ist das Betrug oder Verrat ? Und kann ich jemals wieder einen Mann in mein Herz lassen, ohne Angst zu haben, dass ich ihn wieder verliere… dass er einfach so, ohne Vorwarnung, stirbt oder ihm was passiert?“.
Ist die Liebe dieses Risiko wert ?

Ich suchte nicht nach dieser Antwort… im Gegenteil, die nüchterne Tatsache, dass ich jetzt mit 40 plötzlich wieder Single bin, amüsierte mich fast,… war ich das mein halbes Leben nicht mehr .

Nach ca 14 Monaten fing ich an, das Leben wieder zu lieben. War spontan, war zufrieden, dankbar und glücklich.
Ich packte meine Kinder ein, erlebte einen unglaublichen 4-wöchigen Roadtrip in den Norden. Ich genoss mein Single Dasein, meine eigene Wohnung,….
Wir hatten unglaublich viel Spass. Wir hatten uns und wir wussten das zu schätzen.

Naja und so schnell konnte ich gar nicht überlegen und schauen, war ich mittendrinn….in einer sehr schönen, fast schon märchenhaften Lovestory, die ich absurderweise überhaupt nicht ersehnte.

Langsam war und ist unsere Devise, was uns beiden gut tut. Für stürmische Zeiten sahen wir beide keinen Bedarf mehr.

Und ja, die Liebe ist das Risiko verdammt wert !

Christiane K. Ortner 03/2021